Märchen

Geschichte und Bedeutung überlieferter Erzählungen

Viele Menschen kennen die Märchen nur aus der Kinderzeit und sind sich nicht bewusst, dass aus ihnen auch tiefgründige Wahrheiten hervorgehen. Märchen erscheinen uns irreal und fantastisch und scheinen mit unserer angeblichen Realität nichts zu tun zu haben.

Entstehung und Geschichte des Märchens

Märchen" kommt vom mittelhochdeutschen "maere" und könnte in die heutige Sprache als "Kunde" oder "Nachricht" übersetzt werden. Es kann nicht genau nachvollzogen werden, wann die Märchen in vorgeschichtlicher Zeit entstanden sind.

Das Märchen gehört zur Literaturform der Epik und ist eine der ältesten Erzählformen. Im 18. Jhdt. wurde "Tausendundeine Nacht" veröffentlicht und hatte großen Erfolg. Die Vorlage dafür lieferten mündliche Erzählungen eines syrischen Maroniten.

Die Geschichte des Volksmärchens erlebte im 19. Jahrhundert einen großen Aufschwung durch die Veröffentlichung einer Sammlung der Brüder Grimm. Sie haben die Märchen in einer Weise geändert, dass sie Kindern vorgelesen werden konnten. Von da an wurden in ganz Europa nach dem Vorbild der Gebrüder Grimm Volksmärchen aufgezeichnet und veröffentlicht.

Ein Merkmal eines Volksmärchens ist die kurze und knappe Handlung. Auf Beschreibungen von Landschaften, Personen und Gebäuden wird verzichtet. Jedem Leser und Zuhörer bleibt es sich selbst überlassen, wie wunderbar oder dramatisch er sich die Erzählung ausmalt. Im Unterschied zu den Kunstmärchen wie z.B. bei Hans Christian Andersen, weisen die Volksmärchen keinen Autor oder Urheber auf, sie beruhen auf mündlichen Erzählungen.

Viele Märchen enthalten die moralische Botschaft, dass Licht und Liebe, Treue und Ehrlichkeit am Ende immer über das "Dunkle" oder "Böse" siegen.

Soziale Funktion von Märchen

Ursprünglich waren Märchen Geschichten für Erwachsene. Da es keine Medien gab, versuchten die Menschen aus ihren Erfahrungen, die Weisheiten an die Gesellschaft weiterzugeben. Die Unterhaltung war dabei eher Nebensache, das Wichtigste war, Menschen damit in schwierigen Lebenssituationen zu helfen.

Das Märchen war eine Lebensanleitung, eine Nachricht, eine Botschaft in einer Zeit, wo es keine Bücher und kein Radio gab, oder die meisten Menschen noch nicht lesen und schreiben konnten.

Alle wichtigen Informationen drangen tief in die Herzen ein und blieben das ganze Leben verankert. Das Märchen war ein Wegweiser.

Märchen und Psychologie

Heute werden in der modernen Tiefenpsychologie Märchen als Therapieform eingesetzt. Sie bieten jede Menge Ansätze für die Analyse und Aufarbeitung von Problemen.

Märchen sind symbolhafte Beschreibungen und Darstellungen seelischer Prozesse. Es geht um Ablösungs-und Reifeprozesse von heranwachsenden Menschen auf dem Weg ihrer Selbstfindung. So verschieden die einzelnen Geschichten auch sein mögen, sie erzählen alle das gleiche Kernthema.

Märchen erzählen ihre Geschichte in einer Bildersprache und stellen eine Verbindung zu unserem psychischen Erleben her. Um erkennbar zu werden, muss sie entschlüsselt werden. Ein Märchen erzählt eine Handlung in der äußeren Realität. Unbewusst übersetzen wir die Handlung und erfüllen sie mit inneren Bedeutungen. Märchen bieten Bilder, um eigene psychische Vorgänge darin mitzuerleben.

Alle Figuren im Märchen sind Teilaspekte unserer Persönlichkeit und fungieren miteinander, um Aufgaben zu bewältigen. Wenn der Held es geschafft hat, alle Aufgaben zu lösen, haben sich alle Persönlichkeitsanteile in Liebe miteinander vereint und somit ihr Selbst gefunden.

Im Märchen - wie in der Psychotherapie - ist es das Ziel, eine heile ganzheitliche Persönlichkeit zu werden. Besonders Kindern hilft die magische Welt der Märchen, ihre Erlebniswelt mit ihren Ängsten zu bewältigen.

Fantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt!
(Albert Einstein)